Der Bericht
Wir, die Initiatoren "Montagsdemos auch in Görlitz" waren etwas enttäuscht, das am vergangenen Montag, dem 9. August 2004, keine Demonstration gegen Hartz IV in Görlitz stattfand. Deshalb beschlossen wir, sofort etwas zu unternehmen.
Die vergangene Woche nutzten wir, um Flugblätter zu drucken und um diese zu verteilen.
Gleichzeitig wurde die Demonstration bei der Stadtverwaltung -Ordnungsamt- angemeldet.
Vorab möchten wir uns beim Ordnungsamt und den Polizeiorganen der Stadt Görlitz bedanken, die uns halfen, diese Demonstration so kurzfristig zu genehmigen und abzusichern !
Für die Demonstration wurden ca. 100 Personen gemeldet.
Um 18:00 Uhr setzte sich der Demonstrationszu in Bewegung. Ungefähr 300 Menschen setzten sich in Richtung Stadtzentrum in Bewegung. Es ging über die Pontestraße, Teichstraße (Bild 1 und 2), Luiesenstraße, Hospitalstraße, Berliner Straße (Fußgängerzone) und Demianiplatz zum Marienplatz am Rande der historischen Altstadt (Bild 3).
Im laufe der Demonstration schlossen sich immer mehr Menschen unserem Zug an, so das am Ende weit über 500 Menschen demonstrierten. Weitere beschwerten sich, das die Demonstration um 18:00 Uhr stattfand. Sie würden gern mitdemonstrieren, mußten aber noch arbeiten.
Das Echo auf diese Demo war überwältigend, da niemand von uns mit einer solchen Teilnahme gerechnet hatte.
Das wird die Zukunft bringen: Es wollen noch mehr Menschen an der Demonstration teilnehmen. Die Streckenführung und der Beginn werden den Bedürfnissen der Menschen angepasst.
Die nächsten Termine: Montag, 23. August 2004; 18:00 Uhr vor dem Arbeitsamt. Es geht zum Marienplatz.Montag 30. August 2004; 19:00 Uhr, vor dem Arbeitsamt, es geht zur SPD-Zentrale auf der Salomonstraße.
Die Presse
Abschrift aus der Sächsischen Zeitung
Lokalteil Görlitz (Seite 13) vom 17. August 2004
Das bisschen Ersparte soll bleiben
Mehr als 600 Görlitzer protestieren am Abend friedlich gegen die Arbeitsmarktreform / Fortsetzung geplant
von Anja Beutler
Das Ventil fehlt. Mehr als 600 Demonstranten haben sich gestern Abend auf dem Marienplatz versammelt. Erwartungsfroh. Einige halten Plakate hoch, auf denen sie Hartz IV in die Wüste schicken. Andere pusten ab und an in die mitgebrachten Trillerpfeifen und - warten. Auf eine Ansprache. Auf einen, der laut ihre Meinung ausspricht. Auf jemanden, der stellvertretend für sie die Luft ablässt und aus seinem Herzen keine Mördergrube macht.
"Das nächste mal werden wir einen haben, der etwas sagt" sagt Karsten Richter, der die erste Anti-Hartz-Demo in Görlitz angekurbelt hat, durch das Polizeimikrofon. Der 39-jährige Görlitzer ist überrascht und glücklich zugleich: Mit mehr als 600 Teilnehmern hat er gar nicht gerechnet. Nun ist er fest entschlossen, die Montagsdemonstrationen als feste Größe in Görlitz zu etablieren. Richter hat als Koch und Fleischer seit 1992 keinen festen Job mehr gehabt, und sich mit Umschulungen und Weiterbildungen über Wasser gehalten.
Viele, die in der langen Menschenschlange über die Ponte- und die Teichstrasse, die Luisen- und die Berliner Strasse entlang bis zum Marienplatz mitgelaufen sind, werden die Arbeitsmarktreform in ihrem Portmonee spüren.
Viele wollen Görlitz nicht verlassen
Andreas Hirschfelder zum Beispiel. Der 40-järige ist Langzeitarbeitsloser, seine Frau ist auch betroffen, aber wegziehen, in die alten Bundesländer, um dort das Glück zu suchen, kommt für ihn nicht in Frage. "Es ist doch schon alles tot hier", sagt er und schaut in die leeren Fenster. Was denn werden solle, wenn alle der Stadt den Rücken kehren, fragt er. Außerdem habe er zwei Kinder, die hier in die Schule gingen - die wollen er und seine Frau nicht einfach aus der Umgebung herausreißen.
Wie Andreas Hirschberger denken viele. Auch das Ehepaar Förster aus Görlitz, "um die 40", das ihre Vornamen lieber nicht gleich in der Zeitung lesen will: "Wir hoffen, dass sich nun endlich etwas tut", sagen die beiden, die sich mit Plakat "Nieder mit Hartz IV" und Trillerpfeife bewaffnet haben. "Wenn wir was erreichen können, gehen wir auch bei einer großen Demo in Berlin mit", sagt Herr Förster, der froh ist, dass in Görlitz endlich auch eine Protestaktion zustande gekommen ist.
Gleich nebenan läuft die 60-jährige Frau Kuhnert, die selbst nicht mehr betroffen ist, Hartz IV aber für "Volksversklavung" hält und schon aus Solidarität mit den jungen Menschen mitmacht. "So kann es doch nicht weitergehen", protestiert sie. Ebenfalls nicht selbst betroffen ist der 75-jährige Hans Schneider, der sich in die Protest-Riege eingereiht hat: "Meine zwei Söhne sind betroffen - einer hier und einer in Bayern", erzählt er. Es könne doch nicht sein, dass die beiden jetzt noch das "bisschen Ersparte" aufbrauchen müssen.
Beim nächsten Mal Kundgebung geplant
Schade findet Herr Schneider - wie viele um ihn herum auch - dass es keine Ansprache am Ende der Demonstration gab. Aber gut ist es trotzdem, dass es endlich auch in Görlitz eine friedliche Demo gegeben hat. Friedlich betont Hans Schneider dabei mit Nachdruck. Auf dieses Wort legt auch Organisator Karsten Richter Wert. Und das nächste Mal will er auch alles besser organisieren - jetzt weiß er ja, wie es geht. Dann gibt es sicher auch eine Kundgebung am Schluss. Als Ventil für allen Unmut, der sich unterwegs angestaut hat. Nächsten Montag um 18 Uhr an der Agentur für Arbeit.
Endlich Luft ablassen
Kommentar von Anja Beutler
Sechshundert Demonstranten hat niemand erwartet: das Ordnungsamt nicht, der Veranstalter nicht und so mancher Mitdemonstrant war ebenfalls erstaunt über die lange Schlange, die sich durch die Görlitzer Straßen wand.
Dabei sitzt die Wut tief - in allen Schichten der Bevölkerung. Die gestrige Demonstration hat das gezeigt: junge Familien mit Kinderwagen waren ebenso da wie Ehepaare im besten Alter, Rentner und Ruheständler, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, Politische von Links und Rechts und auch Unpolitische. Dass die Demonstration friedlich blieb, ist der Besonnenheit der Teilnehmer zu verdanken, denn ein Ventil am Schluss der Aktion fehlte. Wie "bestellt und nicht abgeholt" kam sich wohl so mancher Demonstrant am Ende des Marsches vor. Keine Ansprache. Keiner, der sagte, wo der Schuh drückt. Dass die Stimmung nicht umgeschlagen ist, war Glück. Hoffentlich hält es an.
Einige Bilder
Der Demonstrationszug auf dem Görlitzer Hildegard-Burian-Platz |
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Noch mehr Menschen auf dem Görlitzer Hildegard-Burian-Platz |
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Abschlussveranstaltung auf dem Görlitzer Marienplatz |
Weiteres
- Am 9. August 2004 fand in Magdeburg die erste Montagsdemonstration statt. Organisiert wurde sie von Andreas Erholdt, einem arbeitslosen Bürokaufmann.
- So kam es z.B. in Frankfurt/Main am 16. August 2004 zu einer ersten Demonstration mit etwa 200 Teilnehmern.